#beziehungsweise: jüdisch und christlich – näher als du denkst!

„Ein Mensch, der spürt, wenn auch verschwommen,
er müsste sich, genau genommen,
im Grunde seines Herzens schämen  
zieht vor, es nicht genau zu nehmen.“

Augenzwinkernd bringt Eugen Roth hier auf den Punkt, was die meisten Menschen wohl aus ihrer Erfahrung bestätigen können: Einen Fehler einzugestehen, sich selbst und anderen, das fällt schwer – nicht erst in unserem Zeitalter der Selbstoptimierung. Es kratzt an unserem Selbstwertgefühl, sagen zu müssen: „Das war Mist. Wie konnte ich nur! Entschuldige bitte!“ Und zugleich kann es eine große Befreiung sein, so etwas auszusprechen und mit anderen zu klären. Da muss nichts kaschiert und beschönigt werden, da braucht es auch kein Lauern und Aufrechnen, wo der oder die andere selbst etwas falsch gemacht hat. Schuld kann wahrgenommen, ausgesprochen und aus dem Weg geräumt werden – nicht so, dass sie ungeschehen gemacht würde, aber so, dass man einander dennoch wieder in die in Augen sehen kann. Ich fange an bei mir selbst, nehme wahr: Ja, genau genommen ist da manches zum Schämen – aber nun brauche ich mich damit nun nicht herumzuquälen, sondern weiß eine Adresse, wo es Hilfe gibt: Klärung und Entschuldigung und Neuanfang.

Für viele Christen ist diese befreiende Erfahrung besonders mit dem Abendmahl verbunden. Im jüdischen Kalender gewinnt sie ganz besonders eindrückliche Gestalt im Versöhnungstag („Jom Kippur“, in diesem Jahr am 5. Oktober). Es ist Gott, der die Versöhnung schenkt und zur Heilung der Beziehung hilft: zwischen Mensch und Gott wie auch zwischen Menschen untereinander (siehe 3. Mose 16). Dabei gilt ein wichtiger Grundsatz: „Für Vergehen zwischen Mensch und Mensch gibt es Gottes Vergebung erst, wenn die Betroffenen die Angelegenheit auch untereinander bereinigt haben.“ Darum finden gerade in den Tagen vor Jom Kippur in jüdischen Gemeinden viele Gespräche statt, in denen Menschen, die miteinander etwas in Ordnung zu bringen haben, sich aussprechen und gegenseitig um Verzeihung bitten. So zieht die Versöhnung Gottes am Jom Kippur ihre Kreise in der Menschenwelt.

Jesus denkt also gut jüdisch, wenn er den Seinen ans Herz legt: Erst kommt die Versöhnung mit den anderen, dann kommen Opfer und Gebet (siehe Matthäus 5,23-24). Es könnte ja ein Anstoß sein, diesen Zusammenhang auch in unseren Abendmahlfeiern neu zu entdecken: Versöhnung, die Kreise zieht!

Manuel Goldmann